Was sind Murals?

 

Die Bemalung von Hauswänden mit politisch relevanten Darstellungen beziehungsweise Symbolen und Motiven - auch „murals“ genannt - geht in den Arbeitergegenden Nordirlands bis vor den Ersten Weltkrieg zurück. So entstand das erste unionistische Mural etwa 1908 in Belfast und hatte die „Battle at the Boyne“ von 1690 zum Motiv. Mit Hilfe der Murals kam es auch bald zu einer visuellen Trennung von Wohngegenden. Aus Gebieten, in denen Protestanten wohnten, wurden nun „Protestantische Gebiete“. Vor dem Jahr 1981 (dem Jahr des Hungerstreiks der republikanischen Häftlinge) war dies allerdings eine fast ausschließlich unionistische Form der politischen Agitation. Die einzige republikanische Ausnahme bilden die „Free Derry“ Slogans, die im katholischen Wohnviertel Bogside (Derry) an Hauswände gemalt wurden. Nach 1981 nahm sowohl die Quantität als auch die Qualität dieser Kunstform auf beiden Seiten zu. Sie dienten aber nicht zur Provokation der Mitglieder der anderen konfessionellen Gruppe, da sie häufig nur in Seitenstraßen zu finden waren bzw. sind und die Symbolik häufig auch nur von Eingeweihten verstanden wurde und wird. Des Weiteren fungierten Murals auch nicht als Diskussionsform zwischen Unionisten und Nationalisten.[1]

Bevor mit einem Mural begonnen werden kann, müsste eigentlich die Erlaubnis des Besitzers des betreffenden Hauses beziehungsweise der zuständigen Hausverwaltung eingeholt werden. Dies ist aber nur in den seltensten Fällen wirklich zutreffend, und so beginnt man, die Murals ohne jede Erlaubnis zu malen. Trotzdem werden die Murals aber nicht von den Häusern entfernt, da deren KünstlerInnen oft in enger Verbindung mit paramilitärischen Gruppen stehen. Auch die Polizei unternimmt trotz zahlreicher vorliegender Beschwerden kaum etwas dagegen. Es gibt allerdings auch einige Murals, die von Hausbesitzern explizit in Auftrag gegeben werden. Häufig sind die KünstlerInnen arbeitslose Jugendliche oder Männer und nur in den seltensten Fällen Frauen. Die KünstlerInnen leben zumeist in den Gegenden, wo sie ihre Murals anfertigen. Die mit Kreide vorgezeichneten Umrisse durch eine Künstlerin/einen Künstler werden anschließend mit der Unterstützung zahlreicher Helferinnen und Helfer ausgemalt. Einige Murals werden von Zeit zu Zeit immer wieder erneuert, doch die meisten werden nach einigen Monaten oder Jahren übermalt und durch andere Murals ersetzt. Es finden sich aber auch Murals in Nordirland, die weder übermalt noch ausgebessert werden. Diese bleiben den Witterungen ausgesetzt und verblassen somit nahezu vollständig.[2]

Vor 1981 dominierten bei den unionistischen Murals vor allem historische Motive, wobei sich ab etwa 1984 die Darstellung von vor allem paramilitärischen Symbolen durchsetzte. Heute findet man nur mehr sehr wenige historische Darstellungen, wobei die beliebtesten Motive „King Billy“ beziehungsweise die „Apprentice Boys“ sind. Bei den paramilitärischen Darstellungen sind hauptsächlich die „Ulster Volunteer Force“ (UVF)[3] und die „Ulster Defense Association“ (UDA)[4] mit ihren Symbolen dominierend. Die Paramilitärs versuchten, sich auf den Murals auch als die Träger der traditionellen Werte darzustellen und so verwenden sie auch traditionelle Symbole und Embleme. In bestimmten Teilen von Belfast gibt es Unterscheidungen in der Zugehörigkeit zu einer der beiden paramilitärischen Gruppen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppierung drückt sich auch in den Murals aus (z.B. Sandy Row die UDA und Donnegall Pass die UVF).[5]

Die republikanischen Murals nahmen ihren Anfang in den katholischen Gefängnistrakten in Long Kesh Ende der 1970er Jahre, als begonnen wurde, keltische Symbole, wie z.B. Kreuze, Harfen usw. an die Wände zu malen. Später kamen dann auch politische Symbole, wie das Portrait von Ernesto „Che“ Guevara hinzu. Als am 1. März 1981 der Hungerstreik der katholischen Gefangenen, ausgelöst durch die Entziehung ihres politischen Status, begann, kam es auch außerhalb des Gefängnisses zur Bemalung von Hauswänden mit Slogans und Symbolen. Als Bobby Sands, der Anführer des Streiks, nach 66 Tagen starb, wurden in Nordirland rund 150 Murals zum Gedenken an ihn und an die übrigen Hungerstreiker gemalt. Heute finden sich in ganz Belfast nur mehr einige wenige Murals mit dem Antlitz von Bobby Sands.[6] Es folgten einige Zeit nach dem Ende des Hungerstreiks vor allem Murals, die die Fortsetzung des politischen und militärischen Kampfes unterstützten. So wurden Murals auch bald zum Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Sinn Féin - dem politischen Arm der IRA -, wobei die IRA und Sinn Féin auch bald eine Art Monopol in der Schaffung von Murals besaßen. Die republikanischen Murals bezogen sich auch häufig im Vergleich zu den loyalistischen Murals auf kürzer zurückliegende Ereignisse und es wurde vor allem auch die Solidarisierung mit anderen nationalen Befreiungsbewegungen, wie z.B. der PLO und der ETA, thematisiert.[7] Der Waffenstillstand von 1994 brachte eine neue Welle von Murals auf beiden Seiten hervor. Diese waren wesentlich kunstvoller gestaltet und man setzte nun auch Themen so um, dass sie nicht nur von der lokalen Bevölkerung verstanden werden konnten. Vor allem die katholischen Murals, die den bewaffneten Kampf zelebrierten, wurden entfernt oder durch Darstellungen ersetzt, die die Kultur des Widerstandes an sich heroisierten. Die loyalistischen Murals behielten ihren militanten Charakter, aber der Kampf an sich trat in den Hintergrund und wurde durch das Gedenken an gefallene Mitstreiter ersetzt.[8] Diese Tradition in der Motivwahl setzt sich bis heute fort, wobei beide Kollektive auch bewusst historische Jubiläen als Themen in ihre Murals integrieren (z.B. das 50-jährige Thronjubiläum von Queen Elisabeth II. auf loyalistischer Seite oder das 25-jährige Jubiläum des Hungerstreiks auf republikanischer Seite).  

 

 

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[1] Neil Jarman, Material Conflict. Parades and Visual Displays in Northern Ireland. Oxford/New York 1997. S 209-210.  

      Bill Rolston, Drawing Support. Murals in Northern Ireland. Belfast 1992. S i.

      Neil Jarman. Painting landscapes: The place of murals in the symbolic construction of urban space. In: Antony D. Buckley, Symbols in Northern Ireland. Belfast 1998. S 84.

[2] Jarman, Material Conflict. S 210-212.

[3] Ihr Symbol ist ein goldgefärbtes, senkrechtes Oval mit der roten Hand Ulsters in der Mitte. Rund um die Hand steht ihr Leitspruch „For God and Ulster“. (Jarman, Material Conflict. S 217.).

[4] Ihr Symbol ist ein blauer Schild, in dessen Mitte sich die rote Hand Ulsters befindet. Ober dem Schild befindet sich eine Krone und darunter steht in einer Schriftrolle ihr Leitspruch   „Quis Seperabit“ (Who shall seperate us). (Jarman, Material Conflict. S 217-218.).

[5] Jarman, Material Conflict. S 219-222.

      Camille C. O`Reilly, The Irish language in Northern Ireland. The Politics of Culture and Identity. London 1999. S 211.

      Rolston, Drawing Support. S ii.

[6] Jarman, Material Conflict. S 232-234.

[7] Jarman, Material Conflict. S 234-236.

      Rolston, Drawing Support. S iii.

[8] Jarman, Material Conflict. S 245-248.

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